ÜBER DAS FLANIEREN IN CORONA-ZEITEN

NICHT UNTERKRIEGEN LASSEN!

Interview mit Norbert Schaldach, Bielefelder Flaneur

Norbert Schaldach ist Schriftführer der Bielefelder Flaneure, seit 2007 ein „bundesweit einzigartiges Projekt“ (Westfalen-Blatt), bestehend aus „sechs Männern im besten Alter“ (WDR). Sie laufen keiner Mode hinterher, sondern sind „Chronisten der Stadt und des Wandels“ (Westfalen-Blatt), Schwerpunkt: Gastronomie. Ihre streng subjektiven Berichte sind „überaus lesenswert“ (Neue Westfälische). www.bielefelder-flaneure.de

Wie haben sich die Flaneure gefühlt, als ihr ureigenes Terrain geschlossen war?

Natürlich haben wir traurig aus der Wäsche geguckt, als die Gastronomie alle Rollläden runterlassen musste. Doch auch uns war klar, dass das Virus nur mit entschlossenen Maßnahmen ausgebremst werden kann. Also macht man das Beste aus der neuen Situation. Etwa auf dem Balkon die Beine hochlegen und beim Feierabendbierchen ein gutes Buch weglesen. In der Unruhe einer Virus-freien Zeit geht so was ja gern unter. Oder besser noch: Man streift durch die Stadt. Also stundenlang umherziehen, ganz ohne Plan und Ziel, einfach drauf los. Nach Tagen konzentrierter Stadtwanderschaft in alle Himmelsrichtungen sieht man die eigene Stadt mit ganz anderen Augen. Ein erstaunliches Erlebnis! So viel zum Thema „Positive Nebeneffekte der scheiß Pandemie“.

Was habt Ihr am meisten vermisst?

Ganz klar den Wesenskern der Gastronomie, der mehr ist als bloße Nahrungsaufnahme, also die zufälligen Begegnungen in der Gaststube und die Kommunikation über den eigenen Tellerrand hinaus. Erfreulicherweise haben Stadtwanderungen so was aber auch zu bieten, wie etwa auf dem Ubbedisser Berg in Lämershagen. Hier hatte sich ein Lebenskünstler seinen Stuhl von daheim mitgebracht und genoss nun bei einem Zigarillo gemütlich die wunderbare Fernsicht . Da kommt man doch sofort ins Gespräch.

Welche Sorgen und Hoffnungen habt Ihr mit den Gastronomen geteilt?

Wir wollen futtern und sie wollen füttern. Beste Voraussetzungen also für eine gelungene Symbiose. Aber was tun, wenn das nicht möglich ist? Ratlosigkeit und Schwermut keimten auf. Daher suchte ich das Gespräch mit Wirtsleuten und freute mich, als ich sofort auf Nachvorneblicker traf. Wie Jinmei Liu vom Meiwei in der Viktoriastraße. Sie offerierte von der ersten Sekunde an den Außerhausverkauf, und die Stammkundschaft nahm das Angebot sogleich dankbar an. Folge: Mit dem Wegfall des Restaurantbetriebs bis zur Sperrstunde hatte Jinmei Liu plötzlich keinen 25-Stunden-Tag mehr zu bewältigen, sondern fand nun auch Zeit für die Familie, und das bei einer erfreulich gut weiterlaufenden Sushi-Produktion.

Ähnlich erging es Harkan Sarigül mit seiner Pizzeria El Mondo im Bültmannshof. Auch er war sofort beim Außerhausverkauf dabei. Auf diese Weise entdeckten ihn hungrige Neukunden, deren Stammlokale plötzlich geschlossen waren. Folge: 30 Prozent Umsatzsteigerung dank Lockdown – wer hätte das gedacht! Zufrieden lächelnd betont Harkan Sarigül heute, dass ihm viele der Neukunden treu geblieben sind.

Übrigens gab es auch Spätöffner. Ein Beispiel ereignete sich am Kesselbrink, denn hier erwies sich die menschenfreundliche Trinkstube Gegenüber als besonders vogelfreundlich. In der stillen Corona-Zeit hatten Herr und Frau Amsel ein Nest ans Fenster der Damentoilette gebastelt. Hier wollten sie sechs wunderschöne Eier in Vogeltiere verwandeln.

Doch oh weh, ein gastronomischer Regelbetrieb hätte das Brutgeschäft und die Aufzucht der Amselkinder arg beeinträchtigt. Also fiel im Gegenüber die lobenswerte Entscheidung: Wir öffnen erst, wenn Familie Amsel den Brutplatz eigenständig geräumt hat. Ja, so gutherzig können Gastronome sein!

Was war Eure erste Speise nach der Wiedereröffnung der Gastronomie?

Als die Gasthäuser ihre Tore wieder öffnen durften, wehte uns eine Stadtwanderung in den angenehmen Biergarten vom Wirtshaus 1802 am Bültmannshof. Mit Blick auf den herzigen Ententeich ließen wir uns Traditionelles auftellern, und zwar solche Geschichten wie Tafelspitz und Jägerschnitzel. Dazu einige Gefäße Weizenbier, und schon war die Welt im Lot. Allerdings hat auch Ellen Liska wesentlich zur güldenen Stimmung beigetragen, denn die Restaurantleiterin betreute uns mit einer sympathischen Art, als hätte es den gastronomischen Lockdown nie gegeben. So was kann passieren, wenn man sich in die Hände von Profis begibt, die ihren Job mögen.

Kannst Du trotz Lockdown auch von Neuentdeckungen berichten?

Oh ja! Und zwar Neuentdeckungen durch die Stadtwanderungen. So steht der Wandersmann plötzlich vor einer Truppe putzmunterer Schweine und fröhlicher Hühner und entdeckt weiter hinten ein herziges Gartencafé mit vorgeschaltetem Zirkuswagen. Der Köckerhof in Babenhausen ist dieses kleine Paradies. Er betreibt bäuerliche Landwirtschaft mit Café und einen prima Hofladen. Oder in Thesen: Ein eher unscheinbares Schild weist den Weg zur Landschlachterei Beier. Dabei handelt es sich um einen kleinen Laden im Hinterhof, wo unglaublich schmackhafte Wurst- und Fleischwaren aus eigener Schlachtung verkauft werden. Es geht eben auch ohne Tönnies.

Unabhängig von Corona ist die Gastro-Szene ja immer in Bewegung. Gibt es in Bielefeld so etwas wie die „Jungen Wilden“?

Na klar, schon seit sieben Jahren. 2013 traten sie unter ihrem Nom de Guerre Wilde Kuh auf. Dahinter steckte das junge Paar Sibel Yilmaz und Erbil Temel. Mit Freibeuter-Charme gewannen sie ein junges Publikum, das mit den Industrie-Burgern von McDonald’s fremdelte. Der Wilden Kuh als Anstifterin sind ja inzwischen weitere eigenständige Bratstuben gefolgt. Gut so, dass nix stillsteht. Daran ändert auch ein vermaledeites Virus nichts. Daher schlage ich vor, dass wir zuversichtlich in die Zukunft schauen. Motto: Nicht unterkriegen lassen!

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