WIE GEHT „NORMAL“?

Neben der Veranstaltungsbranche hat Covid-19 bzw. die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus‘ die Gastronomie und die Hotellerie am stärksten getroffen. Am 23. März war Schicht an Tresen und Küche. 100 Prozent Umsatzausfall bei zum Teil hohen Kosten für Miete, Personal etc. Am 11.5. durften Restaurants, Cafés und Biergärten wieder öffnen, am 15.6. folgten Bars, Mensen und Kantinen, während Clubs und Discos noch immer auf eine Aufhebung des Verbots warten.*

Doch auch mit den Lockerungen ist vieles anders als vor Corona. Für die Gastronomie ist der Umsatzausfall von sieben Wochen nicht wieder aufzuholen. Geschweige denn die Einnahmen aus Feierlichkeiten wie Konfirmationen, Hochzeiten, Jubiläen oder dem Ostergeschäft. Von einem „Normalbetrieb“ ist die Branche weit entfernt. Das Konsumverhalten der Menschen gebremst. Laut einer DEHOGA-Umfrage erzielen 80 Prozent der Betriebe seit ihrer Öffnung nicht mal die Hälfte ihres gewohnten Umsatzes. „Die notwendigen Abstandsregeln und die Einhaltung der Hygienevorschriften sind personalintensiv, wobei der Umsatz durch die begrenze Kapazität geringer ausfällt“, sagt Phillip Marsell, Mitgründer von Limoment und Botschafter für die Gastronomie beim BIE CITY Hackathon, der auf Initiative des Digitalisierungsbüros der Stadt Bielefeld und Open Innovation City vom 19. bis 21. Juni stattfand. Ziel eines Hackathons ist eigentlich, innerhalb der Dauer dieser Veranstaltung gemeinsam nützliche, kreative oder unterhaltsame Softwareprodukte herzustellen oder, allgemeiner, Lösungen für gegebene Probleme zu finden. Doch beim BIE City Hackathon ging es darum, gemeinsam Lösungen für die Bereiche Mobilität, Kunst, Kultur und Sport, den öffentlichen Raum und die Gastronomie im Alltag mit Corona zu finden. Wie könnte es aussehen das „neue Normal“?

FRISCHE IDEEN FÜR DIE GASTRONOMIE

Phillip Marsell saß als Botschafter für die Gastronomie beim Panel Talk auf dem Podium. Der Gründer und Geschäftsführer der Limoment GmbH ist bei dem Bielefelder Unternehmen, das mittlerweile dem Start-up-Alter entwachsen ist, Ansprechpartner für den Vertrieb der jungen und gesunden Limonaden-Alternative aus eigener Produktion. Seit vier Jahren steht er im engen Kontakt mit dem Handel und der Gastronomie. Aufgrund seiner beruflichen Nähe zur momentan stark gebeutelten Gastronomie, hat er gemeinsam mit Mike Cacic von der Ravensberger Brauerei die Gutscheinplattform „From-OWL-with-Love“ ins Leben gerufen, um hier schnelle und unbürokratische Hilfe zu leisten (siehe Interview). „In Vorbereitung auf die Podiumsdiskussion habe ich mit vielen Gastronomen gesprochen, um herauszufinden, was sie bedrückt und was sie bereits unternommen haben, um durch die Krise zu kommen“, so der Vertriebler, der eigentlich Soziologie studiert hat. „Viele haben sehr schnell einen Lieferdienst oder Abholservice für ihr Angebot installiert und gemerkt, dass das gar nicht so schwer ist. Einige sagten auch, dass sie längst schon einen solchen Service anbieten wollten, aber während des Tagesgeschäftes nicht dazu gekommen seien. Durch den Stillstand in der Branche war plötzlich Zeit da, um einiges aufzuarbeiten. Und viele wollen auch nach Corona den Lieferdienst beibehalten.“

ES WIRD DIGITALER

Die Zeit des Lockdowns war auch die Zeit, verstärkt auf Digitalisierung zu setzen. Virtuelle Gin-, Beer- oder Weintastings wurden veranstaltet. Für einen digitalen Kochkurs konnte das Fleisch bestellt werden, das pünktlich zum Kursbeginn geliefert wurde. Durch die Lockerungen sind die Gastronome natürlich froh, wieder für ihre Gäste da sein zu können. Auch wenn durch die Regelungen neue Arbeit auf sie zukommt. Denn jeder Gastronom hat die Pflicht, die Kontaktdaten der Gäste zur Nachverfolgung einer etwaigen Infektionskette zu erheben. Viel Papierkram für den Gastronomen – akribisches Desinfizieren der Stifte mit eingeschlossen –, mitunter genervte Gäste und natürlich das Thema Datenschutz. „Auch hier waren einige Gastronome sehr kreativ, das Café Gemach hat zum Beispiel aus dem ungeliebten Formular eine schöne Andenkenkarte gemacht“, berichtet Phillip Marsell. Im Rahmen des Hackathons wurde für die Dokumentation der Gästedaten übrigens eine digitale Lösung ausgezeichnet. „Gastident“ heißt das Produkt von Spot AR. Statt Zettelwirtschaft ist das Smartphone gefragt. Das Ein- und Auschecken der Gäste erfolgt per App und QR-Code. Nach einer einmaligen Registrierung erfolgt jeder weitere Restaurantbesuch – allerdings nur, wenn der Betrieb Gastident nutzt – mit einem Klick. Dadurch wird der Besuch samt persönlicher Daten, Tischnummer und Besuchsdauer erfasst. Außerdem kann ein weiterer Gast mit registriert werden. Das verkürzt Wartezeiten und natürlich das Schreddern der Kundendaten, denn nach vier Wochen werden die Daten automatisch gelöscht. „Jetzt ist genau die richtige Zeit, etwas Neues auszuprobieren“, so Phillip Marsell, „denn die Fehlertoleranz ist jetzt hoch. Die Menschen sind bereit, es zu akzeptieren, wenn etwas nicht hundertprozentig funktioniert. Wir brauchen mehr von dem Spirit à la ,einfach mal machen‘. Das ist eine Veränderung, die im Kopf stattfindet.“

Interview mit Phillip Marsell zu From OWL with Love

Inwiefern warst du selbst mit Limoment von der Corona-Krise betroffen?

Wir machen zwei Drittel unseres Umsatzes in den Supermärkten und ein Drittel mit der Gastronomie. Es hätte schlimmer kommen können, aber auch ein Drittel ist eine Menge.Ungewohnt war, dass ich plötzlich viel Zeit hatte, aber durch „From OWL with Love“ habe ich fast gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen ist.

Wie kam es überhaupt zu der Idee, eine Gutscheinplattform ins Leben zu rufen?

Das war kurz vor dem Lockdown, als sich bereits abzeichnete, was passieren würde. Mike Cacic von der Ravensberger Brauerei und ich haben FIFA gespielt, jeder bei sich zu Hause. Wir haben uns über das neue südafrikanische Restaurant Howzit unterhalten, das gerade eröffnet hatte und wie bitter ein solcher Start ist. Denn uns war klar, dass ein Lockdown mindestens ein bis zwei Monate andauern würde. Und dann haben wir überlegt, was wir generell tun könnten, um die Gastronomie zu unterstützen und kamen auf die Idee der Gutscheine. Jetzt kaufen und dann einlösen, wenn die Läden wieder öffnen dürfen.

Und die Umsetzung war ja auch recht fix?

Das stimmt, wir haben alle aktiviert, die uns dabei helfen konnten. Und wir hatten großes Glück, dass wir wirklich im Team die Expertise hatten, die wir brauchten, sei es beim Design, Erstellung des Logos, Verwaltung der Daten und vieles mehr. Allein hätten wir das keinesfalls geschafft. Wir haben die lokale Presse informiert, dass das Portal am 20.3. mittags online gehen soll. Das bedeutete, dass wir drei Tage – und eigentlich auch Nächte (lacht) – Zeit dafür hatten.

Hattet Ihr mit dieser Resonanz gerechnet? In 14 Tagen kamen 50.000 Euro (2.500 Gutscheine für 150 Gastronomien) zusammen, mittlerweile sind es über 100.000 Euro.

Nein, das war echt überwältigend. Im wahrsten Sinne des Wortes. Nach ganz kurzer Zeit kamen die Bestellungen im Minutentakt rein. Zu Anfang haben wir die Gutscheine noch händisch erstellt und pro Mail etwa 5 Minuten gebraucht. Schnell wurde klar, dass wir das automatisieren mussten, damit die Menschen nicht zu lange auf ihre Gutscheine warten und die Gastronome schnell ihr Geld bekämen. Und es kamen auch immer mehr Läden – auch aus anderen Branchen – hinzu. Das bedeutete, dass wir die Seite besser strukturiert haben, damit die Übersichtlichkeit gewahrt wurde. Es kamen also immer Folgeaufgaben auf uns zu. Aber es hat unheimlichen Spaß gemacht und war für die Gastronome ein total positives Signal, dass die Stammkundschaft ihnen treu bleibt.

Und es ging noch weiter …

Wir haben T-Shirts mit dem Logo aufgelegt und Benefiz-Verlosungen gestartet. Neu ist der OWL-Gutschein. Der wird nach dem Kauf online aktiviert und danach kann man auswählen, für welches Restaurant, Café oder welchen Shop man ihn aktivieren möchte. Das geht selbstverständlich auch für mehre Unternehmen.

Wenn du für dich ein Fazit aus der Corona-Zeit ziehen würdest. Wie sähe das aus?

Für viele, die ihre Existenz Für viele, die ihre Existenz verloren haben, ist das eine Katastrophe. Viele Menschen haben Schaden genommen, sei es sozial, psychisch oder eben finanziell. Bei anderen habe ich das Gefühl, dass sie gestärkt aus der Krise gehen. Für mich persönlich habe ich gelernt: „Es ist schlimm, aber man kann es überstehen. Krieg, wie ihn meine Großeltern erlebt haben, wäre viel schrecklicher. Die mussten in den Luftschutzbunker, ich habe Netflix geguckt. (E.B.)

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