MULTITALENT SAUERTEIG

Erinnert sich noch einer an Hermann? Im Zuge der friedens- und umweltbewegten 80er entstand der Brauch, einen Sauerteigansatz für ein auch Glücksbrot oder Glückskuchen genanntes Gebäck weiterzugeben.

Lasst es blubbern!

Irgendwann wurde das letzte blubbernde Gläschen in irgendeiner Küche vergessen und der Hermann-Hype ebbte ab. Doch auf Social Media feiert Sauerteig gerade sein großes Comeback. Genau genommen ist echter Sauerteig ein Dauerbrenner, der schon seit der Antike bekannt ist. Aus professionellen Backstuben war er ohnehin nie wegzudenken und seit einer Weile begeistert er auch wieder die Laien. Kein Wunder, denn traditioneller Sauerteig braucht nur Mehl und Wasser zum Gelingen.

Gerade dieser Purismus macht ihn so köstlich und bekömmlich. Während Hermann strenggenommen ein Mischwesen war, dem auch Milch und Backhefe zugegeben wurden, hat das die klassische Variante gar nicht nötig. Und im Gegensatz zu vielen schnell hergestellten Industriebroten kommt der Klassiker ohne Emulgatoren, Back- und Treibmittel sowie Ascorbinsäure aus. Was es dagegen unbedingt braucht, ist Zeit. Genau das ist auch die Erklärung dafür, dass es gute, handwerklich gefertigte Sauerteigbrote nicht überall zu kaufen gibt, und viele Menschen sie selbst backen.

Die Mühe lohnt sich, denn Sauerteigbrot ist nicht nur herrlich saftig und besonders lange haltbar, sondern auch gut verträglich. Die gesundheitlichen Vorteile beruhen unter anderem darauf, dass die lange Teigführung die ernährungsphysiologischen Eigenschaften von Getreide deutlich verbessert und es leichter verdaulich macht.

JE LÄNGER DER SAUERTEIGANSATZ GENUTZT WIRD, DESTO BESSER WERDEN DIE BACKERGEBNISSE.

Und obwohl der Backerfolg auf einem komplexen Zusammenspiel verschiedenster Bakterien und wilder Hefen (keiner künstlich zugesetzten Backhefe!) beruht, braucht es kein Chemiestudium für den Backerfolg. Was ganz genau beim komplizierten Prozess der Fermentation, beim Zusammenspiel der natürlich vorkommenden Milchsäurebakterien und Hefen geschieht, weiß selbst die Fachwelt nicht. Und für Laien reicht es, die Bedingungen zu kennen, unter denen der Sauerteigansatz sein typisches Blubbern entwickelt. Wer Glück hat, muss noch nicht einmal ganz von vorne anfangen, sondern hat gute Freunde, die einen Teil ihrer Starterkultur abgeben. Vielleicht hat die ja einen ähnlich einprägsamen Namen wie damals der Hermann. Verwunderlich wäre es nicht, denn viele Menschen hegen und pflegen ihren eigenen Sauerteig voller Hingabe.

Einen großen Unterschied zu den 80ern gibt es allerdings: Heute sind Sauerteigbrote nicht nur in der eigenen Küche, sondern auch auf Instagram ein Star. Dort zeigen sie sich mit knuspriger Kruste und fluffig-lockerem Innenleben als ebenso lecker wie fotogen. Und stolze BäckerInnen lächeln strahlend in die Kamera. Klares Fazit: Mögen sich die Zeiten auch ändern, der Sauerteig ist ein echtes Erfolgsrezept. (S.G.)

SELBSTGEMACHTER SAUERTEIGANSATZ

Tag eins: 50 g Roggenvollkornmehl und 60 ml lauwarmes Wasser in einem Glas mit Deckel (mit Loch) verrühren und 24 Stunden an einem warmen Ort stehen lassen. Nach 12 Stunden mit dem Schneebesen etwas Sauerstoff in den Teig rühren, das steigert den „Auftrieb“.


Tag zwei: Erneut 50 g Roggenvollkornmehl und 60 ml lauwarmes Wasser dem Glas hinzufügen, verrühren und 24 Stunden an einem warmen Ort stehen lassen.


Tag drei: Nochmals 50 g Roggenvollkornmehl und 60 ml lauwarmes Wasser dem Glas hinzufügen, verrühren und 24 Stunden an einem warmen Ort stehen lassen.


Tag vier: Wenn der Sauerteig sich mindestens verdoppelt hat und säuerlich riecht, ist der Sauerteigstarter fertig. Drei bis vier Esslöffel davon reichen für ein Brot. Der Rest kann verschenkt oder im Kühlschrank bis zum nächsten Backen aufbewahrt werden.

Foto: iStock.com/Bozdamare

Bestimmt gefallen dir auch folgende Artikel

WUNDERBAR APPETITLICH

Ein verzauberter Tisch, den man mit der einfachen Aufforderung „Deck dich“ dazu bringt, die erlesensten Speisen samt stimmungsvoller Deko auf eben jenen Tisch zu bringen.

SCHÖN SCHARF

MANCHE MÖGEN’S HEISS Hot – das bedeutet im Englischen nicht nur „heiß“, sondern auch „scharf“. Kein Wunder, breitet…